Maxwellsche Geschwindigkeitsverteilung oder Effusion?
Versuch Nr. 148
Wissenschaft lebt von Diskurs. Manchmal beschränkt sich dieser Diskurs nicht nur auf die Forschung, sondern findet bereits bei Lehrversuchen statt. So herrscht bei uns am Fachbereich Uneinigkeit darüber, was im Folgenden Video beobachtet wird: ist es eine 2-dimensionale Maxwell-Boltzmann-Verteilung oder haben wir vielmehr die Bedingungen für Effusion vorliegen? Oder haben wir die Voraussetzungen für keines der beidem Modelle vollständig erfüllt und erhalten eine Mischung aus beidem?
Der Versuchsaufbau besteht aus einer Kammer, in dem sich Glaskügelchen mit einem Durchmesser von 2 mm befinden. Die Kammer ist 60 mm breit, 20 mm tief etwa 180 mm hoch. und Die Glaskügelchen können von unten mit einem auf- und abwippenden Schieber in Bewegung versetzt werden. Zusätzlich zum Schieber besitzt die Kammer seitlich auf der Höhe von 40 mm eine kreisförmige Öffnung mit einem Durchmesser von 5 mm. Tritt ein Kügelchen durch diese Öffnung, so befindet sich nach einer Flugstrecke von 11 mm auf der Höhe der Öffnung ein horizontaler Schlitz mit einer Höhe von 4 mm und einer Breite von 13 mm, der vermutlich dazu dient, Klügelchen mit einer Geschwindigkeitskomponente in vertikaler Richtung zu herauszufiltern.
So viel zu den Anfangsbedingungen, jetzt zu den Interpretationsmöglichkeiten:
Modell der Maxwell-Boltzmann-Verteilung
Konstruktionsbedingt kann in diesem Aufbau die vertikale Komponente der Bewegung der Kügelchen nicht beobachtet werden. Geht man von einer Maxwell-Boltzmann-Verteilung der Geschwindigkeitsbeträge aus, so muss folglich eine 2-dimensionale Verteilung angesetzt werden. Die Verteilung $P_\text{2D}(v)$ kann dabei über
$$P_\text{2D}(v) = cv\cdot e^{-bv^2}$$
beschrieben werden, wobei $c$ und $b$ Konstanten sind.
Modell der Effusion
Bei der Effusion gehen wir davon aus, dass die Kügelchen aus einem Loch austreten, dessen Durchmesser (hier: 5 mm) kleiner ist als die mittlere freie Weglänge der Kügelchen (unbekannt). Die Geschwindkeitsverteilung $P_\text{Eff}(v)$ lässt sich dabei über
$$P_\text{Eff}(v) = av^3 \cdot e^{-bv^2}$$
modellieren. $v$ ist dabei der Betrag der Geschwindigkeit der Kügelchen, $a$ und $b$ sind Konstanten. Dieses Modell ist sehr ähnlich zu einer Maxwell-Boltzmann-Verteilung in drei (nicht zwei!) Dimensionen, die über
$$P_\text{3D}(v) = cv^2 \cdot e^{-bv^2}$$
mit der Konstanten $c$ beschrieben werden kann. Ein entscheidender Unterschied zur Maxwell-Boltzmann-Verteilung in zwei Dimensionen, wie im ersten Fall, ist der Krümmung der Kurve bei niedrigen Geschwindigkeiten, die bei Effusion und 3-dimensionaler Maxwell-Boltzmann-Verteilung ähnlich ausfällt, sich aber deutlich anders als bei der 2-dimensionalen Maxwell-Boltzmann-Verteilung verhält.